Samstag, 25. April 2020

*Rezension* Der Sommerdrache von Todd Lockwood

Eigentlich war ich beim Lesen dieses Buches noch nicht in diesem "Ich fühle mich im Stande, eine Rezension zu schreiben"-Modus, aber es war so gut, dass ich euch auf jedem Fall daran teilhaben lassen möchte. Es ist jetzt schon über einen Monat her, dass ich es gelesen habe, deshalb werden es wohl ein paar weniger Zitate werden, aber ich gebe mir Mühe.
 

Allgemein


Titel: Der Sommerdrache (Die ewigen Gezeiten 1)
Autor: Todd Lockwood
übersetzt  von: Franca Fritz & Heinrich Koop
Verlag: Fischer Tor
erschienen: 25. April 2018
Genre: High Fantasy
Seiten: 653
ISBN: 978-3-596-29860-0
Preis: 16,99 €



Inhalt

Maia wächst als Tochter des Brutmeisters in einem Aery auf, dem Ort, an dem Drachen ausgebrütet und großgezogen werden. Genau wie ihr Bruder Darian wartet sie gespannt auf den Tag, an dem sie ihr eigenes Drachenjunges bekommen wird. Doch sie hat Pech: Als sich der Nesttag nähert, zeichnet sich ab, dass die Delegation des Kaisers sämtliche Jungtiere für das Militär requirieren wird.
Enttäuscht und verärgert macht sie sich mit ihrem Bruder auf in die Wildnis – wo sie nicht nur auf die Leiche eines weiblichen Drachen stößt, der von Wilderern erlegt wurde, sondern auch dem mythischen Sommerdrachen begegnet. Zurück im Aery versetzt ihre Geschichte alle in helle Aufregung. Die religiösen und militärischen Autoritäten streiten darüber, wie der Sommerdrache gedeutet werden soll. Maia hat an all dem wenig Interesse. Sie fragt sich vor allem eines: Wenn es eine tote Drachenmutter gibt, wo ist dann ihr Junges? Kurzerhand macht sie sich auf eine gefährliche Reise in die Wildnis, um das Drachenjungtier zu finden.

Meine Meinung


Dieses Buch hat mich einfach nur umgehauen. Es hat mich zum Lachen gebracht, zum Ausrasten und zum Heulen. (Das will was heißen! Ich heule bei Filmen echt oft, aber bei Büchern echt selten.) Es ist einfach nur episch.

Das wirklich hervorstechenste am gesamten Buch ist das unglaubliche Worldbuilding. Es ist High-Fantasy, deshalb gehört ja eine eigene Welt einfach dazu, aber diese ist unglaublich anschaulich geschildert und legt auf viele Details wert. Todd Lockwood hat eine Art zu schreiben, die einfach unheimlich anschaulich ist und einen eigentlich von der ersten Seite an die Welt vor dem inneren Auge sehen lässt. Allgemein gefällt mir sein Schreibstil extrem gut.

Als Protagonistin erzählt Maia die Geschehnisse aus der Ich-Perspektive. Wie alle Figuren hat sie eine schlüssige Handlungsweise und man kann sich gut in sie einfühlen. Sie ist eine junge Frau mit Plänen und einem wirklich sturen Dickkopf. Und den braucht sie auch, um sich gegen die Kirche und die Feinde ihrer Heimat behaupten zu können. Ich bewundere ihr Durchhaltevermögen, denn sie wird von den Vertretern der Kirche seit Bekanntwerden von ihrer Begegnung mit Getig immer wieder angefeindet, was sich darin zeigt, dass man ihr zum Beispiel anders als ihrem Bruder Darian kein Drachenküken zugestehen will, sodass sie sich regelrecht gezwungen sieht, sich auf die Suche nach eben diesem zu machen, was aber auch dazu führt, dass sie und die Frau ihres Bruders Jhem sogar als Ketzer angeklagt werden. Und doch gibt Maia nie auf.
Ich mag ihr Zusammenspiel mit ihrer Familie. Ihr Vater ist durchsetzungsfähig und streng, wenn es um den Aery (ihre Drachenzucht) geht, kann aber auch sehr liebevoll sein und steht immer hinter Maia, egal, was geschieht. Jhem ist ihr eine wirklich gute Freundin und versteht sie eigentlich immer. Darian ist echt frech (er hat immer einen außergewöhnlichen Fluch parat), doch vor allem später merkt man immer deutlicher die Rivalität zwischen den Geschwistern, was letzten Endes zu einer Entscheidung geführt hat, die für mich echt hart zu lesen war. Meinen vollsten Respekt hat auch Mabir, der Dorfpriester, denn anders als andere Kirchenmänner in diesem Buch steht er auch dem alten Glauben, der eigentlich mehr eine Philosophie ist, aufgeschlossen gegenüber. Eine Eigenschaft, die ich in unserer Gesellschaft, egal ob früher oder heute, leider allzu oft vermisse.
Am meisten - wie könnte es anders sein - mag ich die Drachen. Todd Lockwood findet einen guten Mittelweg, um sie als sehr intelligente Wesen darzustellen, aber gleichzeitig zu vermitteln, dass sie für die Gesellschaft im Buch Tiere und keine menschenähnliche oder Fabelwesen sind, wie das in anderen Büchern gelegentlich der Fall ist. Die Ausnahme sind natürlich Drachen wie Getig und Korruzon, die als Götter verehrt werden (oder ein Gott, je nach Auslegung der Kirche, was die Avar sind). Nichts desto trotz sind es Wesen mit eigener Sprache und deutlichen Gefühlen, mit Angst, Liebe und Wut, die gut übermittelt werden konnten.
Mein liebster Drache ist auf jeden Fall Kirr, Maias Drache. Ich stelle sie mir mit ihrer silbergrauen Färbung unheimlich hübsch vor und sie vertraut Maia seit ihrer ersten Begegnung vollkommen. Die beiden gehen durch dick und dünn. Besonders rührend fand ich ihre Beziehung zu ihrem Vater, die einfach unheimlich liebevoll war. Es tat mir in der Seele weh, als er starb.
Da einige sehr großen Wert darauf legen, sollte ich noch erwähnen, dass es in diesem Buch keine Liebesgeschichte gibt, auch wenn eine ein wenig angedeutet wird, aber keine größere Bedeutung hat. Es geht vor allem um Freundschaft und den Zusammenhalt in der Familie.

Besonders aufgeregt hat mich die Haltung der Kirche, die vor allem durch Bellua repräsentiert wurde. Sie ist unheimlich engstirnig, ignorant und abweisend gegen alles, was in ihren Augen nicht ins Bild passt. So wird Maia von Anfang an als Lügnerin dargestellt und sieht sich mit Dingen konfrontiert, für die sie eigentlich gar nichts kann. Die Dinge, die wegen den Vertretern dieser Kirche geschehen, haben mich einfach nur unfassbar wütend gemacht. Deshalb fand ich es echt gut, dass wenigstens Bellua irgendwann sein engstirniges Weltbild überdacht und Zweifel zugelassen hat.
Der zweite große Gegner, abgesehen von der Kirche und ihren Intrigen, ist das Nachbarland Harodh, dass mittels dunkler Magie Leichen zusammengesetzt und wieder zum Leben erweckt hat. Dieser wird von Anfang an eingeführt, bekommt aber vor allem gegen Ende eine immer größere Bedeutung, auch, weil sich einige Geheimnisse um diesen ranken, die erst im Verlauf immer weiter aufgedeckt werden.

Ich finde es unheimlich spannend, wie im Buch die alte und die neue Zivilisation verbunden werden, bis sich ein gutes und schlüssiges Gesamtbild ergibt. Es ist allerdings auch dieses Aufeinandertreffen von Altem und Neuen, welches viele wirklich schöne Momente hervorgebracht hat, aber auch einen Großteil der Konflikte.

Die Handlung ist für mich schlüssig und spannend aufgebaut. Sie schildert Schlachten ebenso wie Alltagssituationen während der Drachenzucht. Für mich besonders spannend war, dass es zwei verschiedene Spannungsbögen gibt. Das Buch ist in zwei Teile geteilt und jeder verfügt über seinen eigenen Spannungsbogen, zuerst Maias Suche nach ihrem Küken und dann im zweiten Teil den Kampf gegen Kirche und vor allem Harodh, die Feinde von Maias Heimatland Gurvaan.
Was mir aufgefallen ist, ist, dass Todd Lockwood es geschafft hat, bei mir an den schönen Stellen allein durch seinen Schreibstil ein unheimlich warmes Gefühl hervorzurufen, nur um mich an anderen Stellen, vor allem gegen Ende, als sich die Handlung im zweiten Spannungsbogen ihrem Höhepunkt nähert, komplett zu zerstören.
Der Handlungsverlauf war für mich teilweise sehr unvorhersehbar, denn wenn ihr glaubt, ihr wisst ungefähr, was geschehen wird, gibt es einen Plottwist, der euch den Boden unter den Füßen wegzieht. Und in diesem Buch sind einige Dinge geschehen, die mich emotional wirklich einfach zerstört haben.

Was mir auch noch positiv aufgefallen ist, sind die Illustrationen, die man immer wieder im Buch findet. Sie wurden von Todd Lockwood, der ja auch Illustrator ist, selbst gezeichnet und vermitteln immer nochmal ein besseres Bild der Szene.

Auch an dieser Stelle wieder ein paar Zitate für euch:

"Ihr könnt ein Omen nicht nach euren eigenen Wünschen auslegen. Ein Omen gehorcht nur sich selbst." (Seite 84)

"Ich bin  nicht anders als all die Küken, die wir verkauft haben: eine Sklavin des Ministeriums. Es sei denn, ich unternehme etwas dagegen."  (Seite 167)

"Ihr kamt in unseren Aery und wart sicher, dass Ihr alles versteht, aber der Sommerdrache hat Euch und Eure... Eure Vorstellung von den Dingen durcheinandergebracht, und das hat Euch Angst gemacht. Also habt Ihr alles so hingebogen, dass Ihr es kontrollieren könnt. Ihr habt einfach Flüche und Omen erfunden, um uns zu manipulieren. Und alle haben Euch das abgekauft! Niemand, am allerwenigsten Ihr, hat sich um etwas anderes gekümmert als um seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse. [...] Dieses wilde Tier hat mehr Mut, Tapferkeit und Selbstlosigkeit bewiesen als jeder Einzelne hier. Und jetzt versucht Ihr es schon wieder. Kaum geschieht etwas, das Ihr nicht kontrollieren könnt, versucht Ihr, es mit Worten zurechtzubiegen. Aber das könnt ihr nicht." (Seite 273)

"Es gibt keine Zukunft in der Vergangenheit." (Seite 285)

"Glaube... Ich habe lange mit dieser Frage gerungen: Ist es etwas, das wir zu entdecken streben und das in uns wächst, oder ist es etwas, das wir verlieren, wenn wir alt werden?" (Seite 292)

" 'Dein Drache klingt lächerlich, wenn er gackert wie ein Huhn und muht wie eine Kuh. Ich wünschte, du würdest Aru nicht beibringen, dass das akzeptable Wörter sind. Das gefällt mir nicht.' [...] 'BAK BAK BAAAAKH!' Darian würde mich umbringen. Fortan gackerte Aru wie ein Huhn, wenn er mich irgendwo sah. [...] Er hielt zwar den Mund, setzte aber alles daran, Hühnerlaute aus Arus Vokabular zu tilgen. Aber es war bereits zu spät. Ich ermutigte Aru mit zusätzlichen Geflügelhappen, wenn niemand zusah. Kirr fand Bak Bak viel einfacher als Aru und ging dazu über, ihn bei diesem Namen zu nennen. Auch Jhem verwendete ihn als Spitznamen. Tauman konnte nicht widerstehen, Darian mit der Größe seines Lieblingshuhns aufzuziehen, und sogar Vater wies uns nur halbherzig zurecht. Darian war regelrecht außer sich vor Wut. 'Du hast aus meinem Drachen ein Huhn gemacht!' wetterte er. Aber er hatte es herausgefordert, und das wusste er auch. außerdem war es lustig." (Seite 326 bis 328)

"Seit Wochen wartete ich auf eine Erklärung von ihm. Oder von Mabir, oder von Getig. Eine Antwort auf die Fragen, die in meinem Kopf brannten, die Gebete, die ich gegen meine Ängste gesprochen hatte. Stattdessen hatte ich nur weitere Rätsel zur Antwort bekommen. Oder Schweigen. Oder Monster." (Seite 476)

"Ich habe um Erkenntnis gebetet. Aber was sind Gebete? Nichts als ein Atem im Wind." (Seite 478)

Für mich war dieses Buch einfach nur episch. Es hat mich tief berührt und mich mit dem Wunsch zurückgelassen, mehr über diese Welt zu erfahren. Deshalb bin ich sehr froh, dass es weitere Teile geben soll. Dieses Buch hat definitiv das Potenzial, mein Jahreshighlight zu werden. Von mir bekommt es verdientermaßen:
5 von 5 Sterne



Damit verabschiede ich mich für heute von euch. Schreibt mir bitte in die Kommentare, wie euch die Rezension gefallen hat. Und wäre dieses Buch etwas für euch oder habt ihr es sogar schon gelesen?
Eure Shannon

2 Kommentare:

  1. Hallo Shannon,

    erst einmal schön, dass du bei der Aktion Review of the Month mitmachst.

    Wenn ein High-Fantasy Roman eine eigene Welt sehr visuell rüber tragen kann, dann ist das immer ein super Pluspunkt für die jeweiligen AutorInnen.

    Auch scheint mir, dass Buch gegenüber religiösen Einrichtugen recht gesellschaftskritisch aufzutreten. Ich finde es immer gut, wenn ein Fantasyroman nicht nur eine schöne Geschichte ist, sondern auch auf Problematiken hinweist, die sehr real sind.

    Ich glaub, ich hätte bei vielen Passagen über die Kirche die Augen verdreht. ;)

    Die Idee mit den Drachen als Tiere, bzw. Gottessymbole finde ich sehr interessant. Ich habe mir das Buch jetzt mal auf meine Wunschliste gesetzt.

    Liebe Grüße,
    RoXXie

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    1. Hallo Roxxie,

      Oh, ich habe bei einigen Passagen nicht nur die Augen verdreht, sondern hatte sogar einen dezenten kleinen Wutausbruch.
      Ich glaube, das Einbeziehen von realen Thematiken unterscheidet die guten von den sehr guten Fantasybüchern.
      Ich finde es auch mal interessant, wenn Drachen nicht nur als gleichberechtigte Partner (z.B. Eragon) oder als das ultimative Böse (z.B. Der kleine Hobbit) dargestellt werden. Auch einer der Punkte, die mich an Lady Trents Memoiren so fasziniert hat.
      Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen.

      LG Shannon

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